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Chamonix - Ein Fremdkörper in einer fremden Welt

24.-26.08.2020

Das Wetter ist perfekt für die kommenden Tage. Wir packen Essen und Gas für drei Tage ein und fahren Montag früh mit der Bahn auf die Aiguille du Midi (kostet schlappe 65€). Die Aiguille du Midi liegt spektakulär über Chamonix mit sensationellem Ausblick auf den Mont Blanc und die wilde Welt hier oben. Um "hinaus" zu kommen muss man einen Zaun in einer Eishöhle übersteigen. "Attention! Haute Montagne!". Hier ziehen wir die Steigeisen an und laufen angeseilt den steilen Eisgrat hinab zum Valley Blanche, dem "weißen Tal".

Man fühlt sich hier wie ein Fremdkörper in einer fremden Welt, eine Welt in der es nichts gibt außer Eis und Granit, und in der der Wind und das Wetter regiert. Ich fühle mich winzig und den Elementen ausgesetzt. Glücklicherweise ist strahlend blauer Himmel und der Weg durch die Spalten ausgetreten und viel begangen. Wir sind nicht allein. Je weiter wir um den Mont Blanc du Tacul herum laufen desto imposanter erhebt sich der 350m hohe Grand Capucin über uns. Wir schlagen unser Lager, zusammen mit drei anderen Seilschaften, in sicherer Entfernung auf dem Gletscher auf. Die Sonne steht nun hoch am Himmel und es ist T-shirt warm. Es rumpelt. Wenn der Schnee schmilzt und der Permafrost auftaut fallen Steine in Chamonix - das ist schon immer so. Jetzt, durch den Klimawandel, verstärken sich die Felsstürze noch und wir sehen an einigen Eisflanken fette Gesteinsblöche auf den Gletscher prasseln. Es ist ein wenig gruselig!

Wir entscheiden uns noch die Tour "Tabou" (7a+, 7SL, o.s.) an der Chandelle du Tacul zu klettern. Diese Kerze scheint winzig im Vergleich zum mächtigen Grand Capucin, doch die knapp 200m lange Tour ist wunderschön in diesem wilden Land. Zwei Schweden klettern eine ähnliche Tour über uns und später, auf dem Gletscher, unterhalten wir uns. Sie haben wohl in der letzten Nacht bei -10°C sehr gefroren und wir sind etwas besorgt ob unsere Schlafsäcke warm genug sind. Nun geht auch die Sonne unter und es wird schlagartig kälter. Das Metall fängt an im Eis festzufrieren und nachts, als ich aufs Klo gehen will, bekomme ich kaum meine Steigeisen aus dem Eis. Gefroren haben wir aber zum Glück nicht - gute Schlafsäcke :-)

Am nächsten Morgen kommen wir nur langsam aus den Federn. Wir haben etwas unterschätzt wie lange das Schnee schmelzen und Sachen packen dauert. So stehen wir erst um 9 Uhr unten am Grand Capucin. Alle anderen Seilschaften sind schon längst los. Zwar klettern Adam und ich vielleicht etwas schneller als der Durchschnitt, aber eine Stunde früher hätten wir schon losklettern können...

Die ersten fünf Seillängen von "Voyage selon Gulliver" (7b, 320m) gehen ruck-zuck, wir sind richtig schnell und alles klappt am Schnürchen. Dann versucht Adam zwei Seillängen aneinander zu hängen, was laut unserem Rockfax Topo eine gute Idee erscheint. Doch an dem angezeichneten Ort ist kein Stand. Da Adam riesige Seilreibung hat, kommt er wieder herunter um mich die leichten Schrofen nachzusichern. Dann versucht er es erneut, quert jedoch zu weit nach rechts und baut an einem Bolt wieder ab. Wir wechseln und ich steige die Länge vor, gehe geradeaus wo Adam nach rechts gequert ist, und komme an einem Umlenker an. Dieser ist zwar nicht im Topo eingezeichnet, die Linie sollte aber korrekt sein. Als nächstes steigt Adam eine extrem weit gesicherte Platte vor. Ich bin sehr beeindruckt, denn die Kletterei ist ausgesetzt und diffizil. Nach einer weiteren Seillänge kommt ein 7b Piazriss, die wir beide im ersten Versuch klettern können. Jauzet frohlocket, nicelbert!

Es ist windig und kalt. Über den Himmel ziehen Wolkenbänder und versperren die Sonne, die hier oben so willkommen ist. Nach einer weiteren Seillänge ist Adams Stand wieder nicht dort, wo er laut Topo sein sollte. Er baut an drei alten Keilen und einem Cam einen improvisierten Stand unter einem Dach. Ich klettere weiter, kurz darauf folgt der eigentliche Stand, den ich aber überklettere. Ich strande erneut, wieder dort wo der Stand sein sollte. Was ist denn mit diesem Topo los? Adam klettert bis zu der Kette, die ich überklettert habe. Meine Hände haben sich durch den schneidenden Wind schon wieder in Eisflossen verwandelt. So macht das irgendwie keinen Spaß... Es ist nun 16 Uhr, wir sind ca. 100m unter dem Gipfel und beide ziemlich paniert und demotiviert von den vielen Verhauern. Noch sechs Seillängen liegen vor uns, davon zwei schwere. Wir entscheiden uns abzuseilen.

Abseil

Obwohl es ein bisschen ärgerlich ist, da wir bisher alles on-sight klettern konnten und so knapp vor dem Ziel waren, war es absolut die richtige Entscheidung nun abzuseilen. Wir hätten wohl noch mindestens zwei Stunden - wenn alles geklappt hätte - auf den Gipfel gebraucht und wären recht sicher beim Abseilen ins Dunkel gekommen. Wenn sich dann das Seil verhängt, kommt man schnell in ernsthafte Schwierigkeiten... Dieser Alpinismus...

Am letzten Tag klettern wir Super Dupont (7a, 11 SL, o.s.). Diese Tour an der Südwand der Aiguille du Midi scheint die perfekte Routenwahl gewesen zu sein, denn zwei Allgäuer erzählen uns später, dass es ultra windig und kalt am Grand Capucin war und sie ein paar Seillängen vor dem Gipfel ihr Zelt über den Gletscher rollen haben sehen, den kompletten Inhalt verteilend, und auf nimmer wiedersehen in einer Gletscherspalte verschwindend. Auch in unsere Tour ist es zwar nicht windstill, aber es scheint die Sonne und ist eigentlich fast angenehm. In den ersten paar Seillängen komme ich mir ziemlich paniert und geschunden von den letzten zwei langen Tagen vor. Die Hände und Füße schmerzen und alles fühlt sich steif an. Doch später geht es dann wieder besser. Die letzte schwere Seillänge ist mit 6c bewertet, und fällt auf mich. Ein 30m langer Thin Hands/Fingerriss, in dem's mir die Unterarme völlig aufbläst. Da wir jeden Cam nur 2x haben bin ich ganz schön am paniken um oben noch genug kleinere Cams zu haben. "Lila Placement. Hab ich nicht mehr - ooooooh, verdammt...". Zum Glück steckt an der entscheidenden Stelle ein Piton um meine Nerven zu beruhigen.

Als wir die verbliebenen zwei leichten Seillängen zum Gipfel klettern, erwartet uns ein kurioser Anblick: Hinter uns ergeben sich die mächtigen Hängegletscher des Mont Blancs, daneben der Mont Blanc du Tacul, Grand Capucin, Dent de Géant, Grandes Jorasses, in der Ferne das Matterhorn. Und vor uns? Vor uns tummeln sich hunderte Touristen auf der Aussichtplattform der Aiguille du Midi und machen Selfies. Auf der einen Seite ist es sehr praktisch diese Bahn zu haben, da viele der Ziele sonst nur mit erheblich größerem Aufwand möglich wären, und ich verstehe auch, dass es für Touristen, die jetzt nicht so viel mit den Bergen am Hut haben, sicher auch beeindrucken ist diese wilde Landschaft zu sehen, doch dort unten Frauen in Hotpants und Männer in Designerhemd auf 3800m posieren zu sehen, ist schon dubios. Gerade weil wir jetzt drei Tage diese Wildnis am eigenen Leib erfahren haben. Als wir auf die Uhr schauen sehen wir plötzlich, dass die 17.30 Uhr Bahn zurück nach Chamonix erstaunlich knapp wird. Glücklicherweise lässt uns eine Seilschaft beim Abseilen überholen, so dass wir ratz-fatz wieder unten sind, zusammen packen und den letzten Eisgrat zurück zur Station rennen. Obwohl von Rennen mit dem Gepäck und auf 3800m nicht wirklich die Rede sein kann. Dort stellen wir dann fest, dass auch später noch eine Bahn gefahren wäre. Naja, jetzt geht es zurück in den sicheren Hafen "Chamonix".

Übrigens: hier scheint es ein vernünftiges Topo zu geben.

Tags drauf, an meinem Geburtstag, wird dann das Wetter schlecht und wir fahren in die Tarnschlucht. Völlig unerwartet fühle ich mich richtig fit und kann in den drei Tagen zwei 8a's klettern, drei 7c+ on-sight, und einen Haufen leichterer, langer Touren. Besonders habe ich mich über meinen ersten echten 8a on-sight des 50m langen Ausdauerbretts "Les nouvelles plantations du christ" gefreut.

Der Urlaub neigt sich dem Ende zu und wir freuen uns, dass wir noch eine letzte Chance bekommen in Chamonix zu klettern. Nach viel Planung entscheiden wir uns die Tour République Bananière (6c+, 26SL, 2 Tage, o.s.) zu klettern, eine ~700m lange Route auf die Aiguille de la République mit unglaublich spektakulärem Gipfel: