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Yosemite '22 (Teil 1)

Steck-Salathé und ein Versuch in Freerider (26.04-07.05.2022)

Yosemite, was für ein fantastischer Ort. Gewaltige Wasserfälle donnern hunderte Meter in die Tiefe, riesige Felswände und mächtige Tannenbäume erheben sich aus dem Talboden, man sieht Rehe und Hirsche, die gemütlich neben dem Wanderweg stehen, und wohl auch manchmal auch einen Schwarzbären. Einen Monat bin ich hier, yiha, los geht's! Es gibt keine andere Region der Erde in der so große Wände mit so einfachem Zustieg stehen. Man läuft 10 Minuten und steht vor dem El Capitan, einem 1km hohen Felsmonolithen. Zusammen mit der Klettergeschichte an diesem Ort ist das Yosemite DAS Klettermekka der Erde.

Ich komme in San Francisco an und treffe mich mit Tommy und Matthias aus Franken bei Kush, einem Freund, den ich 2013 in Vietnam kennengelernt habe. Matthias kenne ich vom Klettern in der Fränkischen und Tommy ist ein alter Kletterfreund aus Erlangen mit dem ich schon viel in den Bergen gemacht habe (und der zufällig auch der Betreuer meiner Doktorarbeit ist). Beides sind Physiker und beide sind extrem gute Kletterer und super erfahren. Es ist cool sie hier zu sehen und jetzt ne krasse Aktion loszustarten. Schwer beladen fahren wir mit Bus und Zug ins Yosemite auf den klassischen Kletterer Campingplatz "Camp 4".

Wir klettern uns in der Tour "Superslide" ein und machen ein paar einzelne Seillängen um uns an die Felsart zu gewöhnen. Ach, es macht SO viel Spaß hier zu klettern! Am zweiten Tag planen wir die Steck-Salathé am Sentinel, der "Schildwache". Die Tour ist lang und hat einen recht wilden Ruf. Beim Packen - ach du Schreck - fällt mir plötzlich auf, dass ich meine Schuhe verloren habe. Habe ich sie am Stand der letzten Tour vergessen? Ach verdammt, dann muss ich morgen in Sportkletterschuhen die 16 Seillängen lange Kamintour klettern. Autsch!

Um 6 Uhr morgens laufen wir los. Beim Einstieg treffen wir eine andere Seilschaft, die wir zum Glück überholen konnten und ich steige die ersten 5 Seillängen vor. Die Seillängen sind nicht schwer bewertet (5.10b = 6+) aber hier ist sicher nichts geschenkt. Die breiten Risse sind komisch zu klettern und die Seillängen sind lang. Eine 5+ Seillänge stellt sich als die Crux der kompletten Tour heraus. Ich habe im Vorstieg eine Schuppe, die man rechts rausqueren hätte können, übersehen und mich einen extrem anstrengenden Kamin hochgeschrubbt.

Es ist rattenkalt in der Nordwestwand und wir frieren uns ziemlich den Arsch ab in dem windigen Kaminsystem. Wir sehen erst in der allerletzten Seillänge die Sonne. Oh man, wie war das mit Kalifornien und Sonne? Besonders spannend ist die "Narrows" Seillänge, ein 20m langer Quetschkamin. Man steckt da so irgendwie drin und denkt sich so: Wie genau bin ich denn jetzt eigentlich hier hergekommen? Digge Props an Matthias für's Vorsteigen - für ihn sind Quetschkamine neu, aber ihm taugt's voll.

Der Abstieg ist recht komplex und dauert lange und wir kommen erst um 10 Uhr Abends zurück. Tags darauf kommt Kush zu Besuch und wir machen eine leichte Tour (ich habe ziemlich Beinmuskelkater). Am vierten Klettertag klettern wir Freeblast, das sind die ersten 9 Seillängen von Freerider, der Tour am El Capitan, die wir klettern wollen. Freerider ist eine ~1100m lange Route in der Südwestwand (links von der Nose) und die leichteste Möglichkeit den El Cap "frei" zu klettern, was heißt, dass wir uns nicht an menschengemachten Materialien hochziehen wollen und unser Seil und Klettermaterial nur zum Sichern benutzen. Ich habe lange davon geträumt das zu schaffen und war schon zwei mal im Yosemite um Freerider zu probieren. Die Tour ist nicht leicht. Man muss ein einigermaßen solider Kletterer sein um da hochzukommen. Die Schlüsselseillänge ist mit 9+ bewertet, doch es gibt viele Risse und Kamine und nur gut im Sportklettern zu sein, reicht hier nicht aus. Die mentale Komponente, die Ausgesetztheit und Logistik um mit mehreren Tage in der Wand klarzukommen, macht es für mich eine sehr große Herausforderung.

www.planetmountain.com

Wir cruisen Freeblast locker hoch und es macht richtig viel Spaß, vor allem die Plattenseillängen. Jetzt haben wir uns aber auch wirklich mal einen Ruhetag verdient. Hm, was machen wir als nächstes? Nach einigem hin-und-her entscheiden wir uns einfach mal in Freerider von unten einzusteigen und mal zu schauen wie es läuft.

Also: Essen kaufen, Haulbag packen (den dicken Sack, den man hinter sich herschleift), Material sortieren. Es gibt "Fix"-Seile, die bis Heart Ledges hochgehen, das ist nach Seillänge 9, und es üblich am Tag vor dem Klettern die Haulbags bis dahin hochzuziehen - man nennt das "haulen". Mit 4l Wasser pro Tag pro Person, Essen für 4 Tage, einem Hängezelt ("Portaledge"), Gas, Kocher, Klettermaterial usw. wiegt unser Haulbag Schwein ungefähr 60-70 kg. Ich habe ganz vergessen was Bigwall klettern für eine harte Arbeit ist! Es fällt definitiv unter "Typ 2 Spaß" auf der in der Kletterszene berühmten 3-teiligen Spaß-Skala. Natürlich haben wir auch erstmal ein Wasserleck im Haulbag und müssen alles aus und einpacken - tollo...

Aber, wir können los! Juhu, Abenteuer! Freeblast kennen wir ja jetzt schon und der erste Teil des Tages läuft ziemlich super. Dann kommt die Hollow Flake - eine 70m lange Seillänge in der man zunächst 25m abklettert um an eine riesiges Schuppe zu kommen, die mehrere hundert Meter hoch ist. Dort klettert man wieder 25m hoch, legt dann einen großen Cam (ein mobiles Sicherungsgerät) und schrubbi-schrubb-schrubbt sich dann 20m einen Kamin hoch. Die Seillänge ist gigantisch gut, besonders die unteren Meter in denen man die Schuppe hochpiazt (Bild ganz oben), aber auch sehr einschüchternd und ich bin super glücklich, dass ich sie locker und ohne Probleme hochkomme. Wir Sportkletterer aus Franken sind natürlich voll die Haulprofis und werfen den Haulbag erstmal in die Schuppe rein, wodurch Matthias abseilen muss und wir locker ne Stunde mit den schweren Haulbags kämpfen bis wir - doch recht abgekämpft - am ersten Biwak ankommen: Der Hollow Flake Ledge.

Wie cool es ist hier oben zu sein! Das Leben ist so einfach hier oben. Wenn man was braucht: Entweder man hat es dabei, oder eben nicht, daran lässt sich dann nichts mehr ändern. Big Wall Klettern ist eigentlich nichts anderes als ein enormes Logistikproblem: Wie komme ich mit möglichst wenig Energie mit meinem ganzen Scheiß da hoch? Naja, und zusätzlich wollen wir eben noch freiklettern...

Tags darauf klettern wir auf den El Cap Spire. Diese Passage von Freerider hat sehr viele Kamine und breite Risse. Besonders witzig ist "The Ear", ein überhängender Kamin in dem man mit dem Oberkörper steckt, die Füße aber voll auf Abflug unten rausschauen. Mit ordentlich Luft drunter. Und Achtung, unbedingt den Helm ausziehen, sonst kann man den Kopf nicht drehen. Danach kommt der Monster Offwidth, was eine weitere Crux der Tour ist, ein 35m langer Schulterriss. In Europa ist man diese Art der Kletterei einfach nicht gewöhnt und es kann sich sehr unangenehm anfühlen und man kann sich ziemlich aufreiben (im wahrsten Sinne des Wortes). Matthias möchte den Monster gerne vorsteigen, doch nach etwa 25m kann er einfach nicht mehr und klettert technisch mit zwei #6 Cams bis hoch. Uff... Ich war 2018 mit Jakob in den USA und wir haben uns ein zweiwöchiges Offwidth Bootcamp in Joshua Tree gegönnt - ein bisschen von diesem Geschrubbe habe ich also schon gesehen und kann mich hochkämpfen. Es hilft allerdings auch sehr im Nachstieg zu sein! Eine weitere Seillänge bringt uns zum El Cap Spire - einem wirklich fantastischen Biwak!

Wir kommen nun immer höher nach oben. Heute ist das Boulder Problem dran, die schwerst bewerteste Seillänge von Freerider. Es handelt sich um eine nur 5m lange Wandkletterei, aber die hat es in sich. Man muss an einem kleinen Untergriff mit beiden Daumen hängen und einen "Ninjakick" in eine Verschneidung machen. Eigentlich ein ziemlich cooler Boulder 600m über dem Boden. Ich hatte ihn bereits 2017 bei meinem ersten Yosemite Trip geklettert, doch im zweiten Versuch in der Sonne schneidet mir die scharfe Leiste den Zeigefinger auf und ich kann nur noch mit Tape probieren. Verdammt, letztes mal hat sich das wirklich leichter angefühlt. Ich war vor diesem Urlaub nicht allzuviel klettern und die fehlende Fitness rächt sich jetzt. Oder jedenfalls ist das meine Ausrede... Die beiden anderen sind schon oben und irgendwie schaffe ich es mich sehr überraschend im 7. Versuch durch den Boulder zu knüppeln. Im Nachstieg. Irgendwie weiß ich, dass ich es heute nicht im Vorstieg gebracht hätte. Weiter oben kommen wir in die "Loose Flake Pitch". Hier wird El Capitan richtig steil und die Seillänge ist krass ausgesetzt - super gut. Wir biwakieren am "Sous le Toit", einem kleinen Absatz im Nichts. Schnick-Schnack-Schnuck entscheidet wer auf dem Absatz schlafen muss und wer das Portaledge bekommt. Ich verliere...

Tags darauf wollen wir bis zum Gipfel. Ich fühle mich körperlich und mental ziemlich erschöpft und keiner von uns schafft es die "Enduro Corner", die Durchstiegscrux von Freerider, frei zu klettern. Meine Lippen sind aufgeplatzt und die Finger fühlen sich an wie Würstchen, die aus ihrer Haut springen wollen. Drei Tage von früh bis spät zu klettern war zu krass für mich um jetzt noch in der Verfassung zu sein weit über den letzten Sicherungen noch schwere Züge zu machen. Jedenfalls scheint El Cap in einer deutlich besseren Verfassung zu sein, als ich. Es ist fantastische Kletterei, die Felsqualität ist extrem gut und trotz der Plattheit macht es viel Spaß (und hey, die Haulbags sind jetzt viel leichter!).

Über die Kante ins flache Gelände zu laufen, mit einem Kilometer Luft unter den Sohlen, fühlt sich ziemlich gut an. Endlich können wir den Gurt ausziehen, den wir jetzt 4 Tage anhatten. Wir übernachten noch ein mal oben und trotten tags darauf mit all unserem Gepäck zurück ins Camp 4 und schaufeln uns erstmal jeder 300g Nudeln rein, gefolgt von einem Burger mit Pommes und nochmals 200g Nudeln. Und natürlich gibt es auch ordentlich Pfannkuchen am nächsten Tag. Bigwall Klettern: Perfekte Diät!

So, das war Teil 1 des Yosemite Trips. Matthias und ich haben noch zwei Wochen Zeit. Können wir vielleicht nochmal in Freerider einsteigen um einen Freikletterversuch zu starten?